Ein Abend bei Klaus und Ulrike

Unser Nachbar steht auf einer Leiter, die aussieht als wäre sie hundert Jahre alt. Sie íst auch hundert Jahre alt, wie ich später erfahre, genauso wie das große Holzfass, an der sie lehnt. Ein Holzkegel ploppt oben aus dem Fass heraus und der Nachbar lässt einen flexiblen Kunststoffschlauch hinein. Er legt seine Lippen darauf, saugt daran und eine Hellrote Liane klettert aus dem Fass. Wir halten, einer nach dem anderen, unsere Gläser darunter, um den Spätburgunder von 2017 zu probieren, Pinot noir pour les francophones. Kräftiger Ansatz mit dunklen Beeren, herrlich trocken.

Die meiste Anwesenden sind zwischen den Weinbergen aufgewachsen. Sie nicken zustimmend. Ich bin gespannt, was sie über den Dornfelder sagen werden. L♥ und ich hatten von Dornfelder noch nie gehört, bevor wir in die Pfalz gezogen sind; mittlerweile ist der Dornfelder des Nachbarn ein fester Bestandteil in unserem Haus. In der Vergangenheit wurde diese Rebsorte hauptsächlich verwendet um hellere Rotweine etwas zu verdunkeln; erst später wurde sie zur vollwertigen Weintraube befördert. Dennoch hat sie ihren Ruf der Minderwertigkeit bei den Einheimischen noch nicht vollständig verloren, obwohl sie inzwischen die häufigste angepflanzte Rotweinsorte ist, und hervorragende Qualitätsweine daraus hergestellt werden.

Der erste Dornfelder hat eine Kirschnote, und ist etwas trockener als der zweite, der fruchtiger und frischer ist. Wir müssen sofort abstimme. Die Anzahl der erhobenen Hände bestimmt das Schicksal der Weine. Der Gewinner wird in Flaschen abgefüllt, der Verlierer steht für eine unsichere Zukunft in einem Großhandelstanker. Die Mehrheit bevorzugt den ersten, zu der Minderheit gehören L♥ und der Winzer. Er überlegt es sich noch, lacht er. Er weiß, was er tut, dieser Experte, da bin ich mir sicher.

Wie bringt man dreißig Menschen im Wintermantel schwuppdiwupp in Sommerlaune? Man führt sie zu zweitem Keller und man schenkt ein Tröpfchen Weißburgunder aus – jawohl! Pinot blanc – gefolgt von Kerner und Gewürztraminer. Weiß auf Rot? Außergewöhnlich, aber passend. Wir sind voll des Lobes über den Weißburgunder, was unseren Nachbarn gar nicht überrascht. Es ist ein gutes Jahr für die Burgundertrauben gewesen. Es hat Verluste gegeben durch einen späten, heftigen Frost im April, aber die „Überlebenden“ hatten einen günstigen Sommer. Außergewöhnlich sind diese niedrigen Temperaturen aber nicht; die Eisheiligen feiern ihren Namenstag erst im Mai.

Der Trick mit dem Hubschrauber

Die Bilder von offenen Feuern auf den Weinbergen kenne ich nur aus den Medien. Ich weiß nicht, ob sie in der Pfalz gegen den Aprilfrost eingesetzt wurden. Der Trick mit dem Hubschrauber wurde jedenfalls angewendet, zum Beispiel im Nachbarort Ellerstadt. Wege des Nachtfrostes werden die niedrigen Luftschichten kälter als die höheren. Die Hubschrauber drücken die wärmere Luft mit ihren Propellern nach unten, um das Schlimmste zu vermeiden. Zum Glück für die Schlafenden, aber leider für die gekeimten Trauben, darf man erst ab 5:00 morgens überfliegen. Dann war das Kind schon teilweise in den Brunnen gefallen, irgendwo zwischen 20 und 30 Prozent, um genau zu sein.

Bevor wir auf das Buffet stürmen, zu dem alle Gäste ihr Gericht beigesteuert haben, ergreift unser Nachbar das Wort “um ein bisschen zu werben“. Einer der Gäste produziert Olivenöl in einer bewundernswerten Anzahl von Farben und Aromen; ein Anderer macht Wein in Kroatien, ein guter Begleiter beim Essen. Auf ganz natürliche Weise investiert er in unser Wohlbefinden, genauso wie seine charmante Frau und sein gastfreundlicher Sohn.

“Und die Musik kommt von unserem belgischen Nachbarn.“ Ich bin erstaunt, ich fühle mich zutiefst geehrt. Ein wenig später genießen wir die feinen Fleischwaren, die exquisiten Käsesorten und das erste Pardon Service-Album Chaud devant. Unsere deutsche Fanbase steigt um 300 Prozent. Zufrieden lächelnd und mit Freude in den Augen blickt der Herr des Hauses am Kopfende des Tisches auf sein Esszimmer: der Tag läuft perfekt, er wird angenehm genützt. Als die CD zu Ende ist, steigen wir in den dritten Keller ab, der von märchenhaftem Kerzenlicht erhellt ist. Sie wissen, wie man eine Atmosphäre aufbaut, unsere Nachbarn.

Im vierten Keller geben wir der Reihe nach ein Schlüssel weiter, der an alte Heizkörper erinnert. Nur lassen wir hier keine Luft aus der Heizung, sondern wir zapfen Portugieser aus zwei Edelstahlfässern. Die traditionellste Traube unserer Gegend hat Rosen und Erdbeeren im Bukett. Nur einer dieser jungen hellrote Weine wird in die Flasche gefüllt werden. Während der Abstimmung entdecken unsere Kinder die akustischen Eigenschaften der leeren Edelstahlfässer. Hallos und überschäumendes Lachen füllen das unterirdische Gewölbe. Unsere neuen Freunde gucken es sich amüsiert und berührt an. Wirklich erstaunlich ist es, wie sich dieses Duo nun schon drei Stunden unterhält in einer Welt, in der sie nicht gerade im Mittelpunkt stehen.

Zeit zum Abschied denken wir trotzdem, bevor sich eine lustige Spielerei in ein nerviges Gequengel verwandelt.

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